Als wir nach unserer zweiten (ungewollten) Zugfahrt in Chengdu ankommen, werden wir sehr herzlich von der Mutter von Jonas‘ Gastbruder empfangen. Sie hat uns ein Hotel organisiert und lädt uns zum Essen ein. Wir fühlen uns wohl in Chengdu und es ist schön jemanden zu haben, der sowohl Englisch als auch Chinesisch sprechen kann. Am nächsten Tag besuchen wir die Panda-Aufzuchtstation, denn in der Provinz Sichuan leben noch (sehr wenige) Große Pandas, die hier vermehrt werden, um sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder in die freie Wildbahn auszusetzen. Die Bären sind sehr unterhaltsam und vor allem die Jungen noch sehr verspielt. Wir verbringen bestimmt zwei Stunden vor dem Gehege und bekommen eine Fütterung live mit, die für viel Schmunzeln unter den zahlreichen Touristen sorgt.

Panda-Party!

Als wir später einen Kaffee trinken wollen (die Vorgeschichte dazu findet ihr hier), werden wir sogar fündig. Eine Mitarbeiterin des goldenen M’s kocht uns unsere lang ersehnten Heißgetränke in echten Tassen! Das ist Lebensqualität 😄! Nach einem weiteren Tag in der Hauptstadt machen wir uns auf in die Berge, in Richtung Ost-Tibet. Obwohl es zu dieser Jahreszeit schon sehr kalt wird, hoffen wir, dass der Wintereinbruch mit Schneefall noch auf sich warten lässt. Wir wurden in Chengdu nämlich gewarnt, dass die Polizei einfach die Straßen sperrt, wenn es schneit – und der chinesischen Polizei trauen wir das nach unseren bisherigen Erfahrungen auf jeden Fall zu! Aber wir haben Glück! Das feuchte Klima aus dem Tiefland wird abgelöst von kalter, aber klarer Bergluft. Je höher wir kommen, desto besser wird das Wetter und immer öfter reißt die Wolkendecke auf.

Im feuchten Tiefland wird noch Tee angebaut. Aber oben ist Kurze-Hosen-Zeit angesagt!
Über endlose Serpentinen geht es hoch auf das Plateau. Die Yak-Schädel weisen uns den Weg 😉

Als wir nach einigen Tagen, die wir ständig bergauf fahren, schließlich unseren ersten Pass auf 4290m bezwingen, ist der Wind zwar harsch und echt kalt, aber die Sonne wärmt unsere dick eingepackten Körper. Es ist ein unglaubliches Gefühl, so hoch zu sein und zu wissen, jeden einzelnen Höhenmeter selbst erradelt zu haben! Überall sind tibetische Gebetsflaggen und auch für Auto-Touristen scheint der Pass ein Highlight zu sein.

Unser erstes Mal über 4000m!

Bald darauf erreichen wir das Hochland Tibets. Die Temperaturen überschreiten tagsüber nicht den Gefrierpunkt und wenn die Sonne nicht scheint, wird jeder Höhenmeter mit dem ständig wehenden Gegenwind zum Kampf. Die Luft ist dünn, denn wir bewegen uns hier ständig auf über 4000m Höhe und der Wind saust einfach so über das Plateau.

Auf dem Plateau sind die Berge gar nicht so viel höher als die Täler – einfach alles ist hoch hier 🙂

Als wir an unserem ersten Tag auf der Hochebene nach über 1800 Höhenmetern und eisigen Abfahrten abends in einem kleinen tibetischen Dorf ankommen, weint Sina vor Erschöpfung. Ich muss also möglichst schnell einen einigermaßen geschützten Schlafplatz finden, denn nachts sinken die Temperaturen auf -15 bis -20°C. Unsere Taktik ist deshalb seit ein paar Tagen, zu fragen, ob wir in Garagen oder leerstehenden Häusern zelten dürfen. Auch in diesem kleinen Dorf entdecken wir einen potentiellen Schlafplatz und ich frage ein paar herumstehende buddhistische Nonnen, ob wir dort schlafen dürfen. Leider verstehen sie erst nicht so richtig, was wir von ihnen wollen und bringen uns irgendwann in ihr Kloster, wo wir unsere tauben Füße und Hände an einem Ofen aufwärmen. Irgendwann kommt eine Nonne, die uns mitteilt, dass sie einen freien Raum haben, in dem wir übernachten dürfen. Wir können unser Glück kaum fassen und bauen schnell unser Zelt auf, bevor wir wieder nach oben gehen und Tee, Yak-Milch und Dumplings bekommen. Außerdem wird uns noch eine Schüssel mit verschiedenen Zutaten gereicht und wir wissen nicht so recht, was wir damit anfangen sollen. Es ist Mehl, irgendein anderes Pulver, Yak-Butter und Zucker – es schaut also aus wie Zutaten für einen Kuchen. Und so ähnlich wird es dann auch gegessen, denn uns wird gezeigt, dass man zu diesem Gemisch einfach ein bisschen Yakbutter-Tee gibt, alles mit den Fingern verrührt und dann roh isst. Für Sina ist das mit ihrer Glutenunverträglichkeit natürlich nichts und wir haben (mal wieder) den Zeitpunkt verpasst zu erklären, dass sie kein Mehl essen kann. Also mischt sie ihr Tsampa (den Namen haben wir inzwischen herausgefunden) fleißig und schiebt mir nach und nach ihre Portion zu. Die doppelte Portion überfordert mich fast, aber ich reiße mich zusammen und esse beide Schalen komplett leer.

Über dem Holzofen geröstete Dumplings – Jonas sagt: „saulecker!“

Auch am nächsten Morgen sind wir zum Frühstück eingeladen und nutzen die Zeit, um per Übersetzer-App allerhand Fragen über das Leben im Kloster zu stellen. Unsere Gastgeberin lebt dort seit ca. 3 Jahren und plant, noch lange dort zu sein. Sie sind nur Frauen (bis auf zwei männliche Lehrer) und lernen unter anderem tibetische Kalligraphie und Philosophie. Finanziert wird das alles durch Spenden. Wir lernen so viel und können es gleichzeitig gar nicht richtig begreifen, tatsächlich in einem buddhistischen Kloster zu Gast zu sein.

Nach dem Essen machen wir uns wieder auf den kalten Weg, um am Nachmittag nach insgesamt 8 anstrengenden Fahrtagen mit über 12 000 Höhenmetern Litang zu erreichen, wo wir uns einen Tag Pause gönnen. Hier nehmen wir uns Zeit, die tibetische Kultur (oder was die Regierung in Peking nach der Invasion davon noch übrig gelassen hat) kennen zu lernen. Mönche und Nonnen stellen hier einen signifikanten Anteil an der Bevölkerung, gut zu erkennen an ihren roten Gewändern. Das große Kloster hat spektakulär bemalte Wände, viele Holzschnitzereien und in einem Gebäude finden wir eine riesige Buddha-Statue!

Als wir Litang am nächsten Tag verlassen, wollen wir die höchsten Pässe unserer Tour bezwingen. 4700m über dem Meer, alles mit dem Fahrrad hochgeradelt! Wahnsinn! Doch dazu kommt es nicht. Schon am ersten Tag nach unserer Abfahrt werden die Wolken in den Bergen dichter. Da uns ein Hotel ablehnt weil wir keine Chinesen sind und wir darauf keine Unterstellmöglichkeit finden, fahren wir immer höher und immer weiter. Es fängt an zu schneien. Die Straßen gefrieren, der Schnee vereist und es wird spiegelglatt . Stärker und stärker schneit es, die Autos fahren mit Schneeketten an uns vorbei. Schon seit ca. 10 km gab es kein Haus mehr, bei dem wir um Unterkunft hätten bitten können. Wir sind hoffnungslos gefangen im Schnee auf einer Straße, ohne Aussicht auf einen baldigen Zeltplatz. Wir sehen keine 100m mehr, eine Abfahrt wird damit auch unmöglich. Plötzlich hält ein Pickup-Truck an. Der Fahrer bedeutet uns, unsere Fahrräder aufzuladen und wir überlegen nicht lange und steigen ein.

Unser Engel nimmt uns mit über den ersten Pass. Weit nach Sonnenuntergang kommen wir im Tal an und wollen dort aussteigen, um am nächsten Morgen den höchsten Pass zu fahren. Das lässt unser Fahrer allerdings nicht zu und wir haben mal wieder Probleme, uns einigermaßen zu verständigen. Irgendwann verstehen wir, dass er uns sagen will, dass die Polizei unseren Rekord-Pass wegen starkem Schneefall gesperrt hat. Der Fahrer nimmt uns kurzerhand mit – wohin genau, da sind wir uns aber nicht so ganz sicher. Als wir in der nächsten größeren Stadt ankommen, sucht er offensichtlich ein Hotelzimmer. Wir sind ziemlich verwirrt, weil wir überhaupt nicht dort sind, wo wir eigentlich hin wollen, aber dann wird uns klar, dass auch unser netter Fahrer vom Schnee überrascht wurde und ebenso wie wir unerwartet den Umweg fahren muss. Deshalb bezahlen wir ihm eine Hotelübernachtung, er lädt uns zum Essen ein und am nächsten Morgen kommen wir heil in den wärmeren Gefilden Yunnans, der nächsten Provinz unserer Reise, an. Obwohl es uns ein bisschen schmerzt, nicht auf 4700m gefahren zu sein, sondern nur auf 4500m, sind wir im Nachhinein einfach nur dankbar, dass uns auf den glatten Straßen und bei den kalten Temperaturen Osttibets nichts zugestoßen ist. Schade ist nur, dass wir unseren unerwarteterweise höchsten Pass vor Litang nicht gebührend gefeiert haben. Trotzdem wird Tibet für uns auf jeden Fall ein großes Highlight unserer Tour bleiben!