Nach unserem letztem Frühstück in Thailand machen wir uns auf den Weg Richtung Malaysia. Die Grenze liegt auf einem kleinen Pass und problemlos dürfen wir ohne Visum einreisen. Da auf beiden Seiten der Grenze ein Nationalpark liegt, fahren wir die ersten Kilometer nur durch den Dschungel und begegnen außer ein paar Affen, die uns angriffslustig anfauchen, nur wenigen Lebewesen. Das ändert sich aber mit dem Ende des Nationalparks schnell. Auf einmal befinden wir uns auf dicht befahrenen Straßen und werden in der schwülen Hitze immer wieder von alten Trucks in eine Wolke aus dunklen Abgasen eingehüllt. Unser erster Eindruck von Malaysia ist dementsprechend gedämpft. Mittags finden wir endlich einen Geldautomaten und suchen in der Stadt, in die wir gefahren sind, eine Möglichkeit um Mittag zu essen. Das stellt sich als schwieriger heraus als gedacht – in Malaysia ist der Islam Staatsreligion und momentan befinden wir uns mitten im Ramadan, dem Fastenmonat der Muslime. Frustriert setzen wir uns in ein KFC, das einzige offene Restaurant, das wir finden. Wir essen, weil es nichts anderes für uns gibt, eine doppelte Portion Krautsalat und Pommes.

 

Auch am Abend sind wir immer noch in dicht besiedeltem Gebiet und Jonas fragt an einer Moschee, ob wir auf dem Parkplatz übernachten dürfen. Sofort wird es uns erlaubt und uns wird auch Abendessen angeboten (diesmal haben wir aber unterwegs schon etwas zum Mitnehmen gefunden). Im Sonnenuntergang bauen wir, begleitet von den abendlichen Gebetsrufen, unser Zelt auf dem überdachten Parkplatz auf. Ein paar Jungs auf Rollern kommen näher und stellen Jonas ein paar Fragen. Als er eine davon nicht versteht, fragen sie ihn, ob er dumm sei und fahren lachend und mit röhrenden Motoren davon. 10 Minuten später fangen sie an, Böller anzuzünden, in unsere Richtung zu werfen und fahren immer wieder dicht an unserem Zelt vorbei. Wir versuchen, sie zu ignorieren, auch wenn es uns schwer fällt. Zum Glück vergeht ihnen nach einer Stunde irgendwann die Lust und sie fahren weg. Eine weitere Stunde später kommt einer der Jungs vorbei und bringt uns, vielleicht zur Wiedergutmachung, einen Becher voll mit Wassermelonensaft. Dankbar schlafen wir nach dem Nachtgebet ein und als es in der Nacht anfängt wie aus Eimern zu Regnen, freuen wir uns umso mehr über unser Dach über dem Kopf.

 

Der Regen bleibt auch die nächsten Tage unser Begleiter. Ungefähr einmal am Tag scheint es, als ob der Himmel alle Schleusen öffnet und alles herauslässt, was geht. So ist es während unserer Fahrtage und auch in Georgetown, unserer ersten großen Station in Malaysia. Über eine Fähre erreichen wir die Insel Penang, die ein wichtiger Standort für den Handel in der Kolonialzeit Malaysias war. Wir verbringen hier zwei Tage, schlendern durch die Straßen der Stadt und sind erstaunt, wie nah hier verschiedene Kulturen und Religionen zusammenleben. Moscheen, hinduistische und chinesische Tempel, Kirchen sowie englische und niederländische Kolonialbauten – die Stadt ist so vielfältig. Wir genießen die offenen (vorwiegend touristischen) Restaurants, schlendern durch chinesische und indische Viertel und begutachten natürlich die Streetart, für die Georgetown so bekannt ist.

Die Tankstelle

Als wir aus der Stadt wieder herausfahren, müssen wir eine fast 10 km lange Brücke überqueren, um von der Insel runterzukommen. Wieder ist auf der Straße sehr viel los und wie sich mitten auf der Brücke herausstellt, dürfen hier keine Fahrradfahrer fahren. Ein freundlicher Polizist hält uns an, fragt, was wir hier wollen und bittet uns, schnellstmöglich von der Brücke zu verschwinden. Ab da fahren wir dann mit Polizeischutz, bis wir endlich auf der anderen Seite sind. Von hier aus geht es weiter ins Landesinnere. Landschaftlich ist es eher unspektakulär, aber weil uns der Wind im Rücken steht, kommen wir gut voran. Am Abend sind wir umgeben von Häusern an einem Stadtrand und zelten diesmal an einer Tankstelle – hier gibt es einen großen unterdachten Platz, auf dem tagsüber Autos per Hand gewaschen werden. Obwohl es immer noch über 30°C hat, schlafe ich schnell erschöpft ein, bis mich eine Stimme weckt.

Der Geruch von Rauch und Alkohol weht mir in die Nase und als ich die Augen öffne, sehe ich einen Mann, der vor unserem Zelt kniet und mit Jonas redet. Es dauert eine Weile, bis wir verstehen, dass er sich anbietet, auf uns aufzupassen, damit wir einen „happy happy sleep“ haben können. Wir lehnen dankend ab, aber er lässt nicht locker und so nicken wir irgendwann. Er öffnet daraufhin von außen unser Zelt. Fassungslos schaue ich ihm zu, wie er seinen Kopf hineinsteckt und Jonas die Hand reicht. Noch nie hat jemand unser Zelt geöffnet, geschweige denn einfach hineingefasst. Für mich ist das ein so großer Eingriff in unsere Privats- und Sicherheitssphäre, dass mir ganz flau im Magen wird. Ich überlege, ob wir gehen sollen, aber es ist halb 2 und die Besiedlung um uns herum geht noch Kilometer weiter. Zum Glück schließt der Mann das Zelt wieder und verlässt unseren Platz.

Leider weckt mich eine halbe Stunde später wieder der Geruch von Alkohol und der Mann ist wieder da. Diesmal möchte er Geld von uns. Er verlangt 10 € für seine Security-Dienste und als wir nur den Kopf schütteln geht er bis auf 2 € hinunter. Todmüde stimmen wir zu und sind inzwischen sogar bereit, ihm die 2 € zu zahlen, nur damit er uns in Ruhe lässt, aber er nickt nur und verschwindet um die nächste Ecke.

Eine Stunde später höre ich wieder Schritte. Wieder spricht uns ein Mann mit lauter Stimme an, wir sind nicht sicher, ob es noch der gleiche ist, denn er trägt andere Klamotten und stinkt nicht so sehr. Es vergehen einige Momente, bis auch er uns erklärt, dass er für die Security zuständig ist und wir weiterschlafen sollen. Wir sagen ihm, dass er bitte weggehen soll. Das tut er auch, kommt ab jetzt aber jede halbe Stunde wieder. Und auch jede halbe Stunde spricht er mit uns. Er versichert uns immer wieder, dass er ein „good boy“ ist, und kein „naughty boy“. Er hebt sein Hosenbein hoch und zeigt uns eine elektronische Fußfessel (wie in White Collar, falls das jemand kennt). Das trägt nicht unbedingt zu meiner Beruhigung bei, aber da er sonst keine Anstalten macht und inzwischen auch längst die Gelegenheit gehabt hätte, etwas von unserem Zeug mitzunehmen, döse ich erschöpft weiter. Bis mich etwas am Bein streift. Müde will ich vom flatternden Zelt wegrutschen und drehe mich zur Seite, als ich direkt in das Gesicht des Mannes schaue. Er kniet vor unserem Zeltfenster und schaut mich dadurch an. Ich erschrecke mich so sehr, dass ich laut aufschreie. Mir wird klar, dass es eben nicht der Wind, sondern seine Füße waren, die mich berührt haben. Der Mann wiederholt mit lauter Stimme, dass er ein „good boy, no naughty boy“ sei und es „no police“ braucht. Müde bitten wir ihn erneut, wegzugehen, aber er zieht weiter seine Kreise.

Also tauschen Jonas und ich unsere Plätze, damit er nun auf der Seite liegt, an der der Mann immer wieder vorbeiläuft. Ich schließe kurz die Augen aber werde sofort wieder geweckt von einem Geräusch neben mir. Natürlich ist es der Mann. Diesmal hat er einen Stuhl ungefähr 20 cm von unserem Zelt aufgestellt – jetzt auf der anderen Seite, also wieder neben mir. Jonas versucht ihm klarzumachen, dass er mit seinem Stuhl bitte etwas wegrutschen soll, aber jetzt hört er gar nicht mehr auf zu reden. Er imitiert meinen Schrei von vorhin und schüttelt dabei den Kopf. Als er Ruhe gibt, lege ich mich wieder hin. Und werde keine zwei Minuten später von außen durch das Zelt mit dem Finger in die Seite gepickt.

Jetzt ist es zu viel. Die Berührungen, während ich versuche zu schlafen, der Seitenwechsel des Mannes und jetzt das – in mir legt sich ein Schalter um und auf einmal bekomme ich keine Luft mehr. „Ich will jetzt gehen, ich kann hier nicht mehr bleiben“, presse ich nur heraus und bemerke, dass mir Tränen übers Gesicht laufen. Der Mann hört immer noch nicht auf, auf uns einzureden und geht auch nicht weg, als wir ihm signalisieren, dass wir uns umziehen wollen. Ständig schaut er durch unser Zeltfenster und ahmt meinen Schrei nach. Mit pochendem Herzen und tränenden Augen packe ich in Windeseile unsere Sachen und wir beladen unsere Räder. „No police, I’m good boy“, redet der Mann weiter auf uns ein. Ständig versucht er meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Er will sich wohl entschuldigen und versteht nicht, dass ich mich nur nach Ruhe sehne und Angst vor ihm habe. Ich sage ihm immer wieder „okay, okay, it’s okay“ und dann sind wir endlich fertig. Völlig übermüdet steigen wir auf die Räder und fahren los, in die Dunkelheit hinein.

Im Laufe des Tages rekapitulieren wir immer wieder die vergangene Nacht. Wahrscheinlich wollte er sich die letzten Stunden dafür entschuldigen, dass er mich erschreckt hat, aber so ein merkwürdiges Verhalten eines Security-Mannes haben wir bisher auch noch nicht erlebt.

Zum Glück bleibt es hierbei bei der einzigen negativen Erfahrung, die wir bisher in Malaysia gemacht haben. Am nächsten Tag buchen wir uns dann aber sicherheitshalber doch ein Hotelzimmer – die letzte Nacht war uns dann doch etwas zu viel Abenteuer.