Nachdem wir unseren Flug (mit Etihad Airways) gebucht haben, versuchen wir, die letzten Tage in Thailand so intensiv wie möglich zu genießen. Wir kaufen uns jeden Tag frische Mango-Smoothies oder Eisschokolade und machen mittags ein Schläfchen in unseren Hängematten. Halb im Spaß und halb im Ernst hoffen wir, dass unser Flug vielleicht doch noch storniert wird, weil wir auch weiterhin wenig von der Corona-Krise mitbekommen. Trotzdem sehen wir uns auch als potentielle Gefährder für andere und versuchen, viel Abstand zu halten. Das klappt auch gut, denn anders als in anderen Kulturen schüttelt sich hier zum Beispiel niemand die Hand, sondern man verbeugt sich mit aufeinandergelegten Händen kurz voreinander. Wir fahren also durch Palmen und Flachland, essen viel und schlafen unruhig (es ist einfach so heiß, abends im Zelt hat es meistens noch um die 35°). Als wir ein paar Tage später morgens losfahren wollen, sehe ich eine Nachricht von meinem Bruder: Die Vereinigten Arabischen Emirate machen alle Flughäfen für zwei Wochen dicht. Unser gebuchter Flug geht über Abu Dhabi, also über die VAE. Sofort beginnen wir, überall nach Informationen zu suchen, doch wir finden nichts. Weder auf der Seite des Flughafens noch bei der Airline. Wir hoffen, dass es sich vielleicht um eine Falschmeldung der Tagesschau handelt, aber die Unsicherheit ist riesig. Bei uns ist acht Uhr morgens, das heißt in Deutschland ist es zwei Uhr nachts und alle schlafen. Ich fühle mich so allein, bin total überfordert und breche in Tränen aus. Sofort sind alle Ängste wieder da und wir suchen nach alternativen Flügen, obwohl wir noch keine offizielle Stornierung bekommen haben. Weil wir unseren Flug aber kostenlos umbuchen können und wir Angst haben, dass die anderen Flüge noch teurer werden könnten, entscheiden uns dazu, einen neuen Flug über Finnland zu buchen. Finnland wäre immerhin Europa, und die Chance, dorthin zu kommen schätzen wir höher ein. Wir wollen also die Tickets für ungefähr 550€ pro Person buchen und haben schon alle persönlichen Daten eingegeben, als der Bezahlvorgang auf einmal nicht funktioniert. Wir aktualiseren unsere Suche noch einmal und sehen, dass der Ticketpreis während unserer Buchung auf über 1500€ pro Person angestiegen ist. Panik steigt in mir auf, alles ist so unvorhersehbar. Komplett aufgelöst sitze ich am Straßenrand und wir wissen nicht mehr weiter. Wieder suchen wir und finden schließlich einen Direktflug von Bangkok nach München für 650€ pro Person. Ohne Fahrräder, nicht kostenlos stornier- oder umbuchbar. Irgendwann entscheiden wir uns dazu, noch ein paar Stunden abzuwarten, bis wir sicher sein können, dass die VAE wirklich keine Flüge mehr zulassen. Wir fahren also weiter und alle 10 Minuten aktualisiere ich alle möglichen Internetseiten. Nach 4 Stunden steht es dann auf einmal auf der offiziellen Seite des Flughafens Abu Dhabi: Ab dem 25. März sind für zwei Wochen alle Flughäfen des Landes dicht. Wir bleiben direkt neben der Straße stehen und buchen sofort den Direktflug nach München. Zu groß ist unsere Angst, dass sonst wieder so etwas wie bei Finnair passiert und der Preis sich innerhalb von Minuten verdreifacht.

Emotional ausgelaugt fahren wir weiter. Unser neuer Flug geht am 29.3. und unser ursprünglicher Plan, noch ein paar Tage ans Meer zu fahren, wird damit knapp. Stattdessen fahren wir nach Ayutthaya, eine Unesco-Weltkulturerbe-Stadt mit einigen alten Tempel(ruinen). Wir sind hier schon ziemlich nah an Bangkok, und zum ersten Mal werden wir zumindest ein bisschen mit den Corona-Auswirkungen konfrontiert: Unser Gästehaus nimmt uns nur noch für eine Nacht an – wir sind die letzten Gäste und sie schließen deshalb. Das erste Mal seit Längerem sehen wir in der Stadt aber zumindest noch ein paar andere Touristen und fühlen uns nicht mehr ganz so alleine wie die Tage vorher. Wir genießen die verschiedenen Tempel, die wir mal wieder fast für uns alleine haben, sitzen stundelang davor, unterhalten uns und versuchen zu verarbeiten, dass wir in ein paar Tagen zuhause sein werden.

 

Fast wie in Kambodscha 😉

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Außerdem entscheiden wir uns dazu, unsere Fahrräder hierzulassen und ohne sie heimzufliegen. Das liegt zum einen daran, dass der Fahrradtransport nochmal 500€ extra gekostet hätte, zusätzlich zu den 1300€, die wir schon für die Tickets ausgegeben haben. Außerdem haben wir Angst, dass wir die Räder wegen der Ausnahmesituation überall gar nicht mit in den Flieger nehmen dürfen – das haben wir zum Beispiel von zwei anderen Deutschen gehört. Und irgendwie gefällt uns auch der Gedanke, dass wir so qasi nochmal zurückkommen „müssen“, um die Tour zu einem (für uns) ordentlichem Ende zu bringen. Die Fahrräder haben es dann ohne Flugzeug von Deutschland aus geschafft und wir machen eine kleine (oder auch größere) Pause. Wir finden einen Warmshowers-Host, bei dem wir die Räder monatelang abstellen dürfen. Er erzählt uns, dass er seinen Fahrradverleih sowieso erst wieder aufmachen kann, wenn wieder Touristen kommen. Ein paar Monate kann er durchhalten sagt er, bis dahin sitzt er erstmal zu Hause rum.

In Bangkok haben nämlich inzwischen alle Restaurants und Cafés geschlossen oder bieten nur noch zum Mitnehmen an. Thailand hat außerdem verkündet, den Ausnahmezustand auszurufen, und was das genau heißt, weiß momentan noch niemand. Wir wollen deshalb so schnell wie möglich unsere Räder zu ihm bringen und lassen es uns aber trotzdem nicht nehmen, zumindest für zwei Stunden ans Meer zu fahren. Wir düsen also an Hauptstraßen entlang, vorbei an Mangrovenwäldern, bis wir ihn schließlich sehen: Den Golf von Thailand. Wir umarmen uns, und auf einmal wird auch Jonas ganz emotional. Die Tränen fließen (mal wieder), als uns bewusst wird, dass wir jetzt quasi unser letztes Ziel erreicht haben. Die Fahrt zum Flughafen geht nur wieder zurück, weiter werden wir momentan nicht kommen. Wir essen ein letztes Mal Haferflocken am Meer, tauchen unsere Fahrräder einmal in die Fluten und fahren dann zurück, um die nächsten zwei Tage im Hotel zu verbringen und zu hoffen, in den überbuchten Flug einchecken zu können.

Eingetaucht!

Als wir im Hotel ankommen, sind wir auf einmal von Touristen umzingelt. Der Pool ist eigentlich aufgrund des Virus gesperrt, aber das kümmert niemanden. Nach den letzten Tagen voller emotionaler Achterbahnfahrt fühlen wir uns ein bisschen überfordert. Wir fahren am nächsten Tag unsere Räder in die Stadt und kommen vorbei an riesigen Hochhäusern, geschlossenen Cafés und geöffneten Straßenständen in Bangkoks China-Town. Wir freuen uns schon, wenn wir irgendwann wieder kommen und die Stadt erkunden können. Als unsere Räder weg sind, fahren wir mit der Metro zurück zum Flughafen. An den Eingängen wird Fieber gemessen, es besteht Mundschutz-Pflicht und in den Zügen ist jeder zweite Sitz mit einem roten X markiert, um Abstand herzustellen.

Als wir abends wieder im Hotel ankommen, treffen wir Lisa und Stephan – zwei andere Fahrradfahrer aus Deutschland, mit denen wir schon lange über Instagram in Kontakt waren. Die beiden brechen ihre geplante Tour (sie wollten eigentlich über den Landweg zurück nach Deutschland fahren) wegen der Corona-Krise auch ab, und es tut gut, sich mit ihnen auszutauschen. Wir machen am nächsten Tag noch einmal die Streetfood-Stände direkt nebenan unsicher (hier wird Abstand halten noch nicht so groß geschrieben), genießen die letzten Mango-Shakes und packen schließlich unsere Sachen. Ohne Räder und mit Handgepäck ist das gar kein so großer Aufwand und als dann auch noch das einchecken problemlos klappt, steht endgültig fest: Wir fliegen nach Hause.

Letzte Bananen ✈️

 

Sicherheit geht vor 🙂

Inzwischen haben wir über die Entscheidung auch mehr Frieden gefunden, und als wir am Flughafen ankommen, sind wir vor allem erleichtert. Wir sehen am Flughafen einige deutsche Touristen, die noch keine Tickets haben und sich mit dem auswärtigen Amt verständigen. Wir sehen Chinesen, die Ganzkörperanzüge und Augenmasken tragen und viele viele leere Gänge, weil nur noch so wenige Flieger starten. Und dann sitzen wir im Flieger. 12 Stunden Flug, und wir werden in München sein. Von 40° auf 4°. Von Immer-in-Bewegung-sein zu Stillstand. Wir heben ab und haben immer noch das Gefühl, dass unser Kopf dieser Geschwindigkeit irgendwie nicht richtig hinterherkommt. Als wir über Turkmenistan fliegen schauen wir nach unten in die Wüste und sagen uns ständig, dass wir da unten waren! Da unten! Mit dem Fahrrad! In Turkmenistan! 9 Monate haben wir nach Bangkok gebraucht, und an einem Tag sind wir auf einmal wieder zurück. Von oben schon sehen wir Deutschland – geordnete Felder, geordnete Wälder, kahle Bäume. Im Flieger noch müssen wir ein Dokument mit unseren Flug- und Kontaktdaten ausfüllen, das dann aber niemand einsammelt oder anschaut. Der Flughafen ist fast leer, außer uns scheint kein anderer Flieger an diesem Abend gelandet zu sein. Vollkommen übermüdet kommen wir raus in die Kälte und atmen die frische, trockene Luft ein. Und dann ist da schon mein Bruder, der uns aus München abholt und nach Hause bringt. Meine Eltern, unser Haus. Nach einem Glas Sekt fallen wir erschöpft ins Bett und als ich am nächsten Morgen aufwache, lese ich das erste Mal seit Wochen keine Nachrichten. Wir gehen in den Sonnenaufgang spazieren und entdecken vieles wieder ganz neu. Die Ausgangsbeschränkungen treffen uns weniger hart als wir dachten, irgendwie machen sie unser ungeplantes Ankommen sogar ein bisschen leichter. Wir sehen Großeltern über den Gartenzaun, bekommen Post und haben Zeit, so anzukommen, wie wir die letzten 287 Tage verbracht haben: Langsam.