Vietnam empfängt uns wolkenverhangen. In Lao Cai, der Grenzstadt, orientieren wir uns erst einmal und kaufen, mittlerweile schon sehr routiniert, eine neue Simkarte mit 90 GB Datenvolumen für 10€. Einen Ausweis will der Händler nicht sehen. Ich bin ziemlich happy, weil ich mich an die gleiche Situation in China erinnere: Dort wollten die Händler eine amtliche Übersetzung meines Reisepasses und einen Gesichtsscan – „Big Brother is watching us“, oder besser: „was watching us“. Und als ob wir auf einen völlig anderen Kontinent gefahren wären, treffen wir obendrein gleich vier (!) Reiseradler in der Stadt. Zwei niederländische Fietser, die mit ihren Rädern von Kambodscha nach China reisen wollen, und zwei Deutsche, die schon länger unterwegs sind und die den gleichen Plan wie wir haben: Den bergigen Norden Vietnams per Rad zu erkunden. Deshalb fahren wir die erste Woche mit Anja und Gnubbi in angenehmen Etappen von 40-70 km pro Tag. Zusammen radeln wir durch die karstigen Limestone-Landschaften, sehen viele Wasserbüffel und essen viele, viele exotische Früchte 🙂

Hallo Anja und Gnubbi und Ananasverkäufer!

Die ersten Tage, die wir am südlichen Teil des bekannten Ha Giang-Loops verbringen, haben wir „schönes“ Wetter: der Himmel ist zwar bewölkt, aber es regnet nicht und es ist angenehm warm. Aber als wir weiter entlang der chinesisch-vietnamesischen Grenze fahren, werden die Tage immer dunkler, die Wolken hängen tief, manchmal regnet es auch. Wenn wir über Pässe fahren, geraten wir oben manchmal in die Wolken und Sprühregen, so dass wir uns leider gar nicht recht über die eigentlich so schöne Aussicht freuen können und uns deswegen lieber in den Tälern, in denen man wenigstens noch die schönen Berge von unten sieht, aufhalten. Trotzdem entschädigt uns die Gemeinschaft mit den beiden für das Regenwetter und die nassen Zelte und Klamotten. Wir sitzen zum Beispiel abends immer zusammen, kochen und philosophieren über den Alltag als Reiseradler. Die beiden sind viel experimentierfreudiger, was das austesten von Lebensmitteln angeht und wir lassen uns davon ein bisschen anstecken. Wir reden über den Pamir (Anja und Gnubbi sind ihn auch nicht gefahren), unsere Lieblings-Fahrrad-Länder, das zurückkommen und darüber, dass wir alle manchmal gesättigt sind von all den (schönen) Erlebnissen. In Cao Bang trennen sich unsere Wege aber wieder. Anja und Gnubbi wollen direkt ans Meer fahren, während wir nach Hanoi wollen, wo wir meine Eltern treffen werden.

Viele grüne Bergspitzen!
Für diese Aussicht lohnen sich doch die Höhenmeter!

Doch zuvor besichtigen wir noch ein Naturwunder: direkt auf der Grenzlinie zwischen China und Vietnam liegt nämlich der viertgrößte Grenz-Wasserfall der Welt, die Ban Gioc-Fälle. Weil es natürlich am ersten Tag regnet, hoffen wir, dass am zweiten Tag das Wetter besser wird. Als Entschädigung schauen wir uns in der Zwischenzeit eine echt schöne Höhle an, die korallenartige Stalagmiten und einen Stalaktiten in Form einer umgedrehten Lotusblume zu bewundern hat. Natürlich sind während dem regnerischen Februar fast keine Touristen da und wir müssen uns die Höhle mit nur sehr wenigen anderen Reisenden teilen.

Allein in einer Höhle

Als am zweiten Tag das Wetter etwas wärmer gemeldet ist, machen wir uns auf und versuchen unser Glück bei den Wasserfällen. Und, Bingo, das Wetter ist wolkig aber hält sich stabil. Und trotzdem keine Touristen, nur wir zwei und das Wasser! Den ganzen Tag verbringen wir dort und machen Fotos, trinken Cola und sitzen voller Staunen vor der beeindruckenden Aussicht. Was für ein Luxus, diese Zeit zu haben!

Zu zweit allein 🙂

Am nächsten Tag machen wir uns dann auf den Weg in Richtung Hanoi, der Hauptstadt Vietnams. Durch den UNESCO-Geopark mit den charakteristisch vietnamesischen Bergformationen geht es weiter Richtung Süden, leider immer begleitet von Niederschlägen, sowohl tagsüber als auch nachts. Vermutlich weil ich mir mit dreckigen Händen meine Kontaktlinsen eingesetzt habe, bekomme ich für ein paar Tage ein eitriges Auge. Wir kommen glücklicherweise an einem großen Krankenhaus vorbei und kriegen dort antibiotische Augentropfen gegen meine mutmaßliche Bindehautentzündung. Es ist unser erster Besuch in einem Krankenhaus, seit wir unterwegs sind, aber zum Glück ist auch diesmal nichts schlimmes passiert.

Ein sehr scharfes Bild 😀

Als es mir am nächsten Tag wieder besser geht, löst mich Sina leider mit dem Kranksein ab: ihre Verdauung rebelliert, sie muss sich nachts und morgens immer wieder übergeben und hat Durchfall. Weil es aber nur noch knapp 90 km bis Hanoi sind, wollen wir es an einem Tag schaffen. Sina quält sich also auf ihr Fahrrad und… muss sich sofort wieder auf den Boden setzen vor Schlechtigkeit. Wir fahren immer 5-20 km am Stück, dann machen wir eine Salzbrezel- und Wasserpause – nicht mal Nudelsuppe bekommt sie sonst runter. Glücklicherweise haben wir Rückenwind und es regnet nicht mehr. Als wir spätnachmittags in unserem Hotel ankommen, fällt Sina ins Bett und steht den ganzen Abend nicht mehr auf. Wir haben es geschafft, sind sicher angekommen und können uns jetzt entspannen. Sie hat das für mich gemacht, sagt sie, das Heute. Weil mir das Fahrradfahren so viel bedeutet. An diesem Abend bin ich so unglaublich stolz auf meine Frau. Sie hat sich trotz permanenter Übelkeit und Durchfall für ihren streckengeilen Mann aufs Rad geschwungen und ist ohne eine einzige richtige Mahlzeit 90 km durch den super chaotischen Verkehr einer vietnamesischen Millionenmetropole gekurvt – für mich?! Mein Herz hüpft gerade immer noch auf und ab bei dem Gedanken, dass ich so eine tolle Partnerin an meiner Seite habe.