Nach unserer Zeit in der Türkei sind wir ein bisschen aufgeregt, als wir an die iranische Grenze fahren. Unser erstes Land, für das wir ein Visum brauchen und in dem wir die Schriftzeichen überhaupt nicht mehr verstehen. Außerdem muss ich ab jetzt eine lange Hose, eine lange Bluse (mindestens über den Hintern) und ein Kopftuch tragen – für Jonas reicht eine lange Hose. Als wir die türkische Seite verlassen und uns in der Schlange vor der iranischen Passkontrolle anstellen, kommt nach ungefähr 5 Sekunden ein uniformierter Militärbeamter und signalisiert uns, mit ihm mitzukommen. Wir schieben also unsere Räder ein bisschen eingeschüchtert hinter ihm her und rechnen schon mit dem Schlimmsten, als er uns an den Anfang der Schlange führt und den Wartenden „Tourists! Tourists!“ zuruft. Dafür hat dann irgendwie jeder Verständnis und so sind wir nach ungefähr einer Minute durch die Grenze durch und stehen im Iran. Wir können es noch gar nicht richtig fassen, und wieder einmal merken wir, wie viel sich mit der Grenze verändert hat: Die Schrift ist anders und auch Moscheen, Trucks und Läden sehen anders aus. Überall werden wir angehupt und Leute rufen uns von der Straße und aus Autos „Welcome to Iran! Welcome to our country!“ zu.


Komplett andere Moscheen als in der Türkei


Und auch solche Trucks sind neu für uns!

Wir haben schon vorher viel von der iranischen Gastfreundschaft gehört und erleben sie jetzt am eigenen Leibe:

Als wir eine Sim-Karte kaufen, werden wir von einem jungen Iraner direkt zu sich nach Hause eingeladen. Wir lehnen sein Angebot jedoch 3 mal dankend ab, weil wir noch ein paar km fahren und dann irgendwo in Ruhe zelten wollen. Als wir schließlich einen schönen Park gefunden haben und unser Abendessen im Zelt eingenommen haben, ruft uns eine unbekannte iranische Nummer an. Wir heben ab und es stellt sich heraus, dass es der Iraner aus dem Handy-Laden ist, der scheinbar den Ladenbesitzer nach unserer Nummer gefragt hat. Erneut müssen wir ihm absagen, da es inzwischen dunkel und für uns damit quasi schon Schlafenszeit ist. 5 Minuten später schreibt er uns erneut auf WhatsApp an und lädt uns nochmal ein. Wir antworten genervt, dass wir in einem Park campen und nicht mehr aufbrechen wollen. Daraufhin kommt seine Antwort blitzschnell: „Ah, ich weiß in welchem Park ihr seid. Wartet 5 Minuten, dann komme ich mit meinen Freunden!“ Wir sind inzwischen fast in Panik, weil wir wirklich müde und ausgelaugt sind und einfach nur schlafen wollen und schreiben ihm ganz deutlich, dass wir schon in unseren Schlafsäcken sind – zum Glück versteht er das dann endlich und wünscht uns nur noch eine gute Nacht. Gleich an unserem ersten Tag sind wir durch diesen Zwischenfall ein bisschen vorgeschädigt in unsere weitere Zeit gestartet, weil die Gastfreundschaft hier manchmal gar keine Grenzen kennt – und manche Iraner einfach kein „Nein“ akzeptieren wollen.

Gott sei Dank kommen wir in den nächsten Tagen (und Wochen) nicht mehr oft in so unangenehme Situationen, sondern werden von der Gastfreundschaft regelmäßig überwältigt. So treffen wir nach ein paar Tagen zum Beispiel ein Tandem-Paar aus Frankreich, die Sharim besuchen wollen.

Sharim ist ein ungefähr 60 Jahre alter Iraner, den die beiden beim Radfahren in der Türkei kennengelernt haben. Spontan lädt er auch uns beide mit ein, in seiner Wohnung zu wohnen. Die Zeit in Tabris führt uns so gleich ziemlich intensiv in die iranische Kultur ein – Sharim hat nämlich zum Beispiel zwei Frauen. Eine davon lebt in den Bergen und die andere in Tabris in der Stadt. Er selbst hat zusätzlich noch eine eigene Wohnung – kann einem Mann mit so viel Familie ja schnell mal zu viel werden 😉


Sharim, Maria und Ismael aus Frankreich und ich

Wir verbringen zwei Nächte bei ihm und sind an beiden Abenden bei der Familie seiner (zweiten) Frau zum Abendessen eingeladen. Gegessen wird auf dem Boden und es wird richtig aufgetischt. Hier kommen wir das erste Mal so richtig in Berührung mit der patriarchalen Kultur im Iran, denn als Sharim am Abend noch ein paar Freunde empfängt, die uns Ausländer kennenlernen wollen, springen alle Frauen auf, legen eine weitere Schicht um ihr Kopftuch und ihren Körper und setzen sich unauffällig in eine Ecke. Ins Gespräch mit einbezogen werden sie überhaupt nicht, von ihnen wird eigentlich nur erwartet, Tee zu bringen und eine Kleinigkeit zum Essen anzubieten. Für mich ist es teilweise ziemlich schwierig, diese Kultur zu akzeptieren. Auch ich werde von Männern quasi nie angesprochen (manchen iranischen Frauen ist es schließlich verboten, mit anderen Männern zu sprechen), nur Jonas wird die Hand gereicht und auch in Gesprächen werde ich meistens gekonnt ignoriert.

Trotzdem verbringen wir einen schönen freien Tag in Tabris, besuchen den größten überdachten Basar der Welt und endlich eine Moschee von innen, machen eine kleine Fahrradtour zu einem Hügel mit Blick über die Stadt und scheitern grandios bei dem Versuch, unseren Gastgebern nicht allzu sehr zur Last zu fallen: Unsere Überlegung, Sharim einmal zum Essen einzuladen, damit seine Familie nicht noch einmal so viel Arbeit hat, läuft darauf hinaus, dass Sharims Bruder uns in ein Restaurant fährt, selber nichts isst, aber unsere Rechnung bezahlt und sich vehement dagegen wehrt, Geld von uns anzunehmen. Und gekocht wird am Abend natürlich trotzdem.

Als wir am nächsten Morgen um 6 Uhr wieder aufbrechen (Sharim und die Tandem-Fahrer gehen nämlich wandern), sind wir einerseits dankbar für diese einmalige Erfahrung und andererseits froh, wieder ein bisschen mehr Ruhe, Schlaf und Selbstbestimmung zu haben.