Wir brechen also aus Kappadokien auf. Immer weiter in Richtung Osten.

Der Osten der Türkei ist, verglichen mit den Metropolen im Westen und Süden des Landes, wirtschaftlich unterentwickelt. Und obwohl die Regierung mit zahlreichen Großprojekten und Investitionen in Infrastruktur und Wirtschaft die Ost-West-Flucht der Bevölkerung stoppen will, verirren sich Touristen eher selten hier her.

Hier treffen wir keine Reiseradler, und die Internationalen, denen wir begegnen, verbringen ihren Urlaub allesamt bei ihrer Familie in den zahllosen kleinen und größeren Ortschaften. Was uns also bleibt, sind die einsamen und nicht sehr stark befahrenen Straßen, wo wir zahlreiche Obststände vorfinden, die uns mit süßen Leckereien versorgen. Meistens bestehen die Verkäufer darauf, uns die Früchte zu schenken, obwohl wir ihnen gerne Geld geben möchten. Es ist schon merkwürdig: denen, die es vielleicht bräuchten, ist Geld nicht wichtig. Und wir Deutschen, die eigentlich genug davon haben, hängen so sehr daran.

Die Freundlichkeit der Menschen zeigt sich hier nicht nur durch viele kostenlose Pfirsiche, sondern auch durch spontane Übernachtungsmöglichkeiten. Als wir in einer kleinen Stadt völlig entkräftet und vom Gegenwind zermürbt ankommen, fragen wir die Einheimischen nach einem Hotel. Ein Mann sieht uns und lädt uns zu sich nach Hause ein. Er lebt hier, wie viele Türken, nur im Sommer zum Urlaub machen. Eigentlich arbeitet er in Istanbul als Lehrer. Nachdem die Wohnung seiner Familie gehört, aber alle weggezogen sind, ist entsprechend viel ungenutzter Raum und wir bekommen ein eigenes Zimmer. Wir dürfen unsere Wäsche bei ihm waschen, haben eine Dusche und er bewirtet uns vorzüglich mit einer ordentlichen türkischen Brotzeit. Am Abend werden die Gesprächsthemen dann tiefer und es geht um die Unterdrückung von Minderheiten in diesem Teil des Landes, den Präsidenten und die Bürgermeisterwahl in Istanbul.

Am nächsten morgen ziehen wir dann gestärkt los, um unzählige Berg- und Talfahrten durch kaum besiedeltes Gebiet zu absolvieren, immer konstant auf über 1000 Metern Höhe. Die Landschaft ist beeindruckend karg. Am Anfang genießen wir die Einsamkeit noch, aber am Ende wünschen wir uns dann aber doch etwas Abwechslung zum ständigen rauf-runter-früh-aufstehen-früh-ins-Bett-gehen-Tagesablauf.

Für Abwechslung sorgt dann eines der oben erwähnten Großprojekte: das Südostanatolien-Staudammprojekt. Seit den 80ern staut die Türkei im großen Stil die Flüsse Euphrat und Tigris auf, die in dieser Region fließen. Zufällig führt auch unsere Route an zwei großen Seen vorbei, die dort deshalb entstanden sind. Unsere Affinität für Wasser bringt uns dann dazu, zwei Nächte an einem See zu campen und uns von den letzten anstrengenden Tagen zu erholen.

Anschließend fahren wir zu Familie Akkaya, der Familie von Sinas Nachbarn aus Hersbruck. Dort werden wir unglaublich herzlich aufgenommen und sofort mit leckeren türkischem Essen versorgt. In den nächsten Tagen tauchen wir ein Stück weiter in die türkische Kultur ein, schneiden Tomaten und Äpfel, die anschließend getrocknet werden (so lecker!), trinken viel Kaffee und Tee (mehrmals täglich), machen ein paar Besorgungen in der nächsten größeren Stadt und helfen ein bisschen beim Tessek-machen. Das ist gepresster Schafdung, der ein halbes Jahr getrocknet wird und ideal ist, um damit im Winter zu kochen und heizen. Dazu kommen wir in den Genuss, die türkische Küche noch besser kennenzulernen, und beinahe alles ist selber gemacht. Das Obst und Gemüse ist aus dem eigenen Garten, Joghurt und Butter wird selbst hergestellt und auch Marmelade, Honig und ein süßer Maulbeeraufstrich sind selber gemacht. Wir genießen die Zeit sehr, sitzen aber gleichzeitig auf ziemlich heißen Kohlen, weil unsere Visa in der Post feststecken. Problematisch ist das vor allem, weil unser Turkmenistan-Visum auf einen bestimmten Einreisetag festgelegt ist. Mit jedem Tag Wartezeit wird es deshalb unwahrscheinlicher, dass wir die Strecke durch Türkei und Iran aus eigener Kraft bewältigen können.

Nach einer Woche entschließen wir uns deshalb, ohne Pässe aufzubrechen und mit dem Bus an den Van-See zu fahren – den größten See der Türkei. Die Pässe wollen wir dann einem Busfahrer mitgeben, der bis kurz vor die iranische Grenze fährt und uns die Pässe dort im Idealfall gibt. Schweren Herzens verabschieden wir uns also und machen uns wieder auf den Weg. Als wir auf den Nachtbus warten, fließen bei Sina einige Tränen – es war so schön, eine Woche quasi eine Familie zu haben.