Wir hätten es nicht gedacht: Als wir den Grenzposten von Bulgarien in die Türkei passieren, ändert sich alles: Die Kosten für mobiles Internet, die Landschaft, die Kultur und sogar unser kompletter Tagesablauf.

Schon als wir in die erste größere Stadt kommen (Kirklareli) fühlen wir uns wie im Orient: Flache Bauweise in der Stadt, die Marktstraßen ähneln arabischen Souks, Verkehrschaos, ein sehr hoher Lärmpegel und überhaupt: Hier spielt sich ein Großteil des privaten und öffentlichen Lebens draußen ab. Menschen lachen, schreien, sitzen, essen, trauern zusammen. Eigentlich eine sehr bemerkenswerte Eigenschaft der orientalischen Kulturen. Aber dennoch müssen wir uns erst einmal daran gewöhnen, überall nicht mehr für uns zu sein, sondern mit Menschen zu kommunizieren, oder sie zumindest (laut) kommunizieren zu hören.

Für uns besonders gewöhnungsbedürftig sind die Gebete der Muezzins, die uns um 5 Uhr morgens wecken und um 22 Uhr abends nochmal aus der ersten Schlafphase reißen. Außerdem tragen alle Einheimischen mindestens lange Hosen, was uns das Gefühl gibt, mit unseren Spandex-Stramplern nicht so richtig ernst genommen zu werden.

Als wir in Istanbul einfahren, trifft uns der Schlag. Wir hätten es wissen müssen: 14 Millionen Menschen auf einem Fleck – das kann nicht gut gehen mit uns natur- und einsamkeitsverwöhnten Radlern. Nachdem wir zwei Tage Pause in der Weltmetropole gemacht und uns die Hagia Sophia als kulturgeschichtliches Highlight angesehen haben, geht es für uns weiter. Die Stadtausfahrt ist ähnlich wie die Stadteinfahrt eine verkehrstechnische Katastrophe: Lärm, Abgase, beständige Berg- und Talfahrten, überall sind Autos und Lastwagen um uns herum. Zum Glück ist der Seitenstreifen oft gut ausgebaut, so dass wir uns zumindest halbwegs sicher fühlen. Von Entspannung oder gar Freude am Fahren kann aber keine Rede sein.

Wir brauchen noch ein paar Tage, bis wir uns an diese ganz ungewohnten Umstände gewöhnt haben. Auf dem Weg nach Ankara werden wir einige Male zum Caj eingeladen. Wir merken: Wer mit der Kultur leben will, muss sich auf sie einlassen. Und so nehmen wir ein paar Mal das Angebot an, bleiben kurz stehen und verbringen ein bisschen Zeit mit den Menschen, obwohl sie meistens weder Deutsch noch Englisch sprechen. Die erste Frage erahnen wir mittlerweile und beantworten sie immer gleich: „Almanya to Ankara!“. Bei allen anderen Fragen versuchen wir den Sinn zu verstehen und zucken ansonsten entschuldigend mit den Schultern.

Landschaftlich wendet sich das Blatt nach der ungefähr 100km-Stadt-Ausfahrt aus Istanbul um 180° und haut uns total um. Wir erklimmen unsere ersten Pässe und nach jeder Kurve scheint sich die Landschaft zu verändern. Von waldbewachsenen Bergen, sanften wiesenfarbigen Hügeln über karge rote Prärie bis hin zu grünen Felsen besticht die türkische Landschaft durch Vielseitigkeit und Schönheit.

Als wir nach fünf Fahrtagen in Ankara ankommen, nehmen wir uns auch dort einen Pausetag und erkunden die Stadt. Neben dem Atatürk-Mausoleum (der Staatsgründer der Türkei) gefällt uns besonders das Essen: Schon in Istanbul haben wir „Kumpir“ – eine gefüllte Riesenkartoffel – gegessen. Zum Glück gibt es die hier auch und wir schlagen uns damit die Bäuche voll. Für uns ist es ein Stück Wiedergutmachung für die kulturellen Herausforderungen.

Und als wir in einem Café laktosefreien Latte Macchiato und glutenfreien Kuchen finden, haben wir unseren Kulturschock endgültig überwunden. Türkei, wir mögen dich!