Unsere Zeit in Tibet war schön, aber kalt. Umso glücklicher sind wir, als wir das Plateau verlassen, es wärmer wird und aber trotzdem schön bleibt! An unseren letzten Tagen in der Provinz Sichuan fahren wir auf einer wunderbar kleinen Straße entlang eines Flusses, der sich ein tiefes Bett in den Fels gefressen hat. Links und rechts von uns ragen die Bergmassive in die Höhe, die Sonne sehen wir erst Mittags. Dann wird es aber so warm, dass wir endlich wieder im T-Shirt fahren können. Es ist einfach herrlich, ohne viel Verkehr auf bestem Asphalt durch Täler zu fahren. Teilweise zeigt sich aber dann doch, dass die Chinesen mit dieser Straßenführung vielleicht etwas zu riskant gebaut haben – einige Male liegen Felsen, groß wie Einfamilienhäuser, auf der Straße. Manchmal ist auch da, wo der Weg sein sollte, ein Loch, weil der Hang abgerutscht ist oder ein Felssturz den Straßenbelag mitgerissen hat. Trotzdem: Ich bin tierisch froh, dass ich nicht die Berge hoch muss, sondern an ihnen vorbei fahren kann.

Nach ein paar Tagen erreichen wir Shangri-La. Vielleicht kommt dem einen oder anderen ja der Ortsname bekannt vor. Trotzdem ist die Geschichte hinter der Namensgebung erzählenswert: seinen Ursprung hat der Name nämlich in einem Roman von James Hilton, wo er einen tibetischen Ort voll von Frieden und Harmonie benennt. Viele Abenteurer haben sich deshalb auf die Suche nach diesem Ort gemacht und es entstand eine Art Mythos um den Namen. Eine gleichbenannte Hotelkette gibt es ja auch, und im Jahr 2002 kamen findige chinesische Marketingexperten dann auf die Idee, dem mythenhaften Ort einen Platz in der realen Welt zu geben. Deshalb wurde eine tibetische Kleinstadt kurzerhand in Shangri-La, oder chinesisch „Shanggelila“ umbenannt. Dass es touristisch erschlossen ist, brauche ich nicht mehr zu erwähnen. Die ganze Altstadt voll mit Läden, die allerlei Schmuck und ortstypische Holzschnitzereien verkaufen. Aber auch ein großes tibetisch-buddhistisches Kloster steht dort, das größte außerhalb der autonomen Provinz Tibet. Natürlich schauen wir es uns an unserem letzten freien Tag an.

Ein sehr opulentes Bauwerk – die Askese der Mönche passt irgendwie nicht so zu den goldenen Dächern.

Die Stadt markiert für uns auch endgültig den Abschied aus Tibet: als wir über den nächsten Pass fahren, ist die Architektur plötzlich ganz anders und die zuvor überall präsenten bunten Fahnen sind verschwunden. Stattdessen sehen wir auf einmal Kakteen, grün bewachsene Berge, Bananenstauden und Palmen! Dass wir uns auf 2000m befinden, scheint die Vegetation in keiner Weise zu beeindrucken. Hier bahnt sich die Natur einfach überall ihren Weg, wo der Mensch sie nicht aktiv verdrängt. Die Straßenränder sind überbordend voll mit Bäumen und Sträuchern. Wir fahren wieder an einer kleinen Seitenstraße, die uns entlang kleiner Dörfer ins „White Land“ führen. Der saisonbedingt ausbleibende Tourismus führt dann dazu, dass wir die Kalkterrassen fast für uns alleine haben. Wir lassen uns die Sonne ins Gesicht scheinen und genießen das Naturwunder in vollen Zügen.

Am nächsten Tag folgt das nächste Highlight: die Tigersprungschlucht! Einer der Quellflüsse des Yangtse (im Deutschen unverständlicherweise Jangtsekiang genannt) donnert hier mit brachialer Gewalt durch eine spektakuläre Berglandschaft, vorbei an schneebedeckten Gipfeln und senkrecht abfallenden Klippen. An der engsten Stelle haben die Chinesen natürlich ein Besucherzentrum gebaut, wo man bis auf wenige Meter an die reißenden Fluten heran kommt.

Die letzte große Attraktion unserer adventlichen Etappe haben wir damit hinter uns gebracht. In den folgenden Tagen auf dem Weg nach Kunming erwarten uns größtenteils Hauptstraßen. Die Aussicht, noch 7 Tage in unbeeindruckender und staubiger Landschaft zu fahren, stimmt Sina überhaupt nicht glücklich. Ihre Laune wird von Tag zu Tag schlechter. Weil wir (und vor allem ich) uns in den Kopf gesetzt haben, die verbleibende Strecke komplett mit dem Rad zu fahren, sind die Tage geprägt von kräfte- und nervenzehrendem Auf- und Abfahren in dicht besiedeltem Gebiet. Ständig überholen uns Laster, wir halten uns mit Musik in den Ohren auf dem Sattel. Sina ist inzwischen emotional vollkommen kaputt und ich damit total überfordert. Sina kommt nur noch langsam voran, ständig muss ich auf sie warten. Wir zählen inzwischen nur noch die Tage bis Weihnachten und ich bin mehr als erleichtert, als wir endlich Kunming erreichen. Dort haben wir eine Warmshowers-Hostin gefunden, bei der wir unsere Räder einen Monat lang parken dürfen! Wir sortieren also mal wieder unnötigen Ballast aus und steigen am nächsten Morgen in einen Zug. Diesmal allerdings nur 8 Stunden durch die subtropische chinesische Landschaft. Als wir abends aussteigen, riechen wir Meeresluft – wir sind in Hongkong!

Kalt aber schön!